Rinderstudie: Wissenschaftlergruppe bekräftigt ihre Ergebnisse in Fachveröffentlichung
Quelle: Praktischer Tierarzt 83, Heft 3, 260-267 (2002), Schlütersche GmbH & Co KG Verlag und Druckerei, ISSN 0032-681 X
Aus dem Institut für Tierhygiene,
Verhaltenskunde und Tierschutz der Tierärztlichen Fakultät der
Ludwig-Maximilians-Universität, München
Das Verhalten von Milchrindern unter
dem Einfluss elektromagnetischer Felder1)
C. WENZEL, ANNA-CAROLINE WÖHR
UND J. UNSHELM
1) Das Projekt wurde finanziert vom Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen.
ZUSAMMENFASSUNG:
Landwirte registrierten in der Umgebung
von Mobilfunksendeanlagen auffälliges Verhalten und Gesundheitsstörungen
bei ihren Kühen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden daher Verhaltensbe-obachtungen
durchgeführt, um einen etwaigen Zusammenhang zur Strahlenexposition
zu klä-ren. In 30 Anbindeställen wurde das Liege-, Steh- und
Futteraufnahmeverhalten von Kühen sowie auffällige Verhaltensweisen
erfasst. Zusätzlich wurde auf acht dieser Betriebe das Verhalten auf
der Weide beobachtet. Die Betriebe wurden anhand ihrer Exposition durch
hochfrequente elektromagnetische Felder (Summenexpositionsfaktor E*) in
Gruppen eingeteilt und die Daten miteinander verglichen. Im Stall unterschied
sich das Liegeverhalten, auf der Weide das Tagesverhaltensprofil und das
Wiederkauverhalten auf Betrieben, die über Ensemblemittelwert exponiert
waren, signifikant gegenüber Betrieben mit schwächerer Exposition,
sodass vermutet wurde, dass die Strahlenwirkung einer chronischen Stressbelastung
ähnelt. Die Befunde geben insgesamt Hinweise auf einen biologischen
Effekt, dem Gesundheitsstörungen und Leistungseinbußen folgen
könnten.
SCHLÜSSELWÖRTER:
elektromagnetische Felder, Verhalten,
Milchrinder
The effect of electromagnetic transmitters on behavior of diary cows
SUMMARY:
To establish a nationwide mobile
phone network, thousands of antennas have been erected in the German landscape.
Mobile phone companies often prefer the roofs of stables for their an-tennas.
Some farmers, however, have reported abnormalities in the behaviour of
their cattle since the electromagnetic fields have been established. Therefore,
this study was conducted to examine the behaviour of cows exposed to a
high-frequency electromagnetic field. Investiga-tions were carried out
on 29 milk farms with different levels of exposure to an electromagnetic
field. All cows were kept in stanchion stables during winter. From May
to November, on 8 farms they were also observed on pasture. Farms were
grouped according to their electromagnetic exposure levels, and data were
compared between groups. Significant differences were found in lying behaviour,
daily behaviour profile on pasture and ruminating behaviour, which could
be interpreted as the cows' response to these fields. Findings could be
interpreted as chronic stress and show a biological effect of a high frequency
electromagnetic field.
KEY WORDS:
electromagnetic transmitters, behaviour,
dairy cows
Einleitung
Landesweit werden Mobilfunksendeanlagen
auf Gebäudedächern und Masten installiert. Land-wirte in der
Umgebung solcher Antennen registrieren auffälliges Verhalten und Gesundheitsstö-rungen
bei ihren Kühen, die als Effekt der hochfrequenten elektromagnetischen
Felder betrach-tet werden (Löscher 1999, Wittkowski et al. 1998).
Dabei sind Kühe besonders beeindruckend, die phasenweise ihren Kopf
zur Seite und somit von der Sendeanlage weg wenden (Kopf-zur-Seite-gewendet
Verhalten) (Löscher u. Käs 1998).
In Literaturübersichten können
Algers und Hennichs (1983) sowie Anderson und Phillips (1985) zwar Änderungen
im Verhalten nach niederfrequenter Strahlenexposition aufzeigen, aber kei-nen
kausalen Zusammenhang herstellen. Bisherige Studien über Rinder beziehen
sich auf nie-derfrequente elektromagnetische Felder ausgehend von Hochspannungsleitungen,
die vor al-lem im Feld durchgeführt wurden (Al-
gers et al. 1981, Algers u Hennichs
1985, Algers u Hultgren 1987, Amstutz u Miller 1980, Angell et al 1990)
Es herrscht generelle Übereinstimmung, dass niederfrequente 50/60-Hz-Felder
bio-logische Effekte verursachen können (Löscher 1999) In einem
künstlichen geopathogenen Feld untersuchen Broucek et al (1997) das
Verhalten von Rindern Das Liegeverhalten unterscheidet sich in Dauer und
Sequenz, sodass nach Ansicht der Autoren das Wohlbefinden der Tiere be-einflusst
wird Insgesamt aber bleibt die Risikoabschatzung für landwirtschaftliche
Tierhaltungen basierend auf diesen Studien unklar, da zwischen den Effekten
und pathologischen Auffälligkei-ten kein kausaler Zusammenhang hergestellt
werden kann Um neuere Vermutungen über Zu-sammenhange zwischen Gesundheit,
Leistung und Verhalten von Rindern und hochfrequenten elektromagnetischen
Feldern zu untersuchen, ist vom Bayerischen Staatsministerium für
Lan-desentwicklung und Umweltfragen ein zweijähriges Forschungsprojekt
in Auftrag gegeben wor-den (Volmer et al. 2001, Wenzel et al. 2001, Wuschek
2001) Von zwei veterinärmedizinischen 2 Arbeitsgruppen wurden 38 landwirtschaftliche
Betriebe untersucht. Als ein Parameter wurde das Verhalten von Milchkühen
beobachtet, das hier im Folgenden vorgestellt wird.
Tiere, Material und Methodik
Stallbeobachtung
In 30 Anbindeställen in Bayern
(18) und Hessen (12) wurde das Liege-, Steh- und Futterauf-nahmeverhalten
sowie auffällige Verhaltensweisen von drei bis fünf nebeneinander
aufgestau-ten Kühen an zwei aufeinander folgenden Tagen videotechnisch
erfasst. Die übrigen acht Be-triebe des Gesamtprojekts waren Laufställe,
in denen nicht beobachtet wurde, da dort gezeigtes Verhalten mit Anbindehaltung
nicht vergleichbar war.
Die Betriebe waren Milchproduzenten
an Grünlandstandorten und wurden zu annähernd glei-chen Anteilen
von den Betreiberfirmen der Mobilfunksendeanlagen, vom Bayerischen Staatsmi-nisterium
für Landesentwicklung und Umweltfragen und von Haustierärzten
benannt. Einige Betriebsinhaber baten von sich aus um die Einbeziehung
in die Erhebungen. Letztendlich wurde die Auswahl willkürlich getroffen.
Durchschnittlich wurden pro Betrieb 24 Kühe der Rassen Rot-bunt, Schwarzbunt,
Fleckvieh und Braunvieh gehalten. Es fanden sich Betriebe mit Rotbunt und
Schwarzbunt ausschließlich in Hessen, solche mit Braunvieh in Bayern.
Fleckvieh wurde in bei-den Ländern angetroffen. Ein Drittel der Ställe
sind Neubauten aus den vergangenen drei Jahr-zehnten, 17 sind älter
und drei sind umgebaute Altbauten. Eine Überprüfung des Stallklimas
ergab einheitlich für alle Betriebe die typischen Verhältnisse
in Warmställen. 27 Betriebe hatten Kurz- oder Mittellangstände,
die übrigen Langstände Die Maße der Tierplätze entsprachen
auf allen Betrieben nicht den Mindestanforderungen. Insgesamt wurden aus
tierärztlicher Sicht die Haltungsbedingungen als mäßig
beurteilt.
696 Stunden Filmmaterial wurden
folgendermaßen analysiert: Mit einem visuellen Abtasten der Kühe
wurde das Verhalten gemäß dem in Tabelle l dargestellten Ethogramm
erfasst. Als Auf-nahmemethode wurde für das Normalverhalten ein Zeitintervall
von zehn Minuten gewählt. Da-mit wurden die Verhaltensweisen sechsmal
pro Stunde und 144-mal pro 24 Stunden erfasst und als Frequenz wiedergegeben.
Auffälliges Verhalten im Stall
wurde durch kontinuierliche Beobachtung erfasst und jedes Auftre-ten notiert.
Weidebeobachtung
Acht der 30 untersuchten Betriebe
hielten durchschnittlich 17 Kühe von April/Mai bis Okto-ber/November
tagsüber zwischen den Melkzeiten auf der Weide. Dort wurden die Tiere
im Spätsommer an zwei Tagen beobachtet.
Die Weide war bei vier Betrieben
unmittelbar am Hof gelegen. Bei den übrigen wurde über l km Wegstrecke
vom Stall zur Weide zurückgelegt Sechs Betriebe erweiterten die Grasefläche
täg-lich (Portionsweide), zwei Betriebe bewirtschafteten Umtriebsweiden.
Wahrend der Beobach-tung wurden die Weiden nicht gewechselt. Wasser wurde
über je eine Tranke bereitgestellt. Die Weiden waren in vier Fallen
durch einige am Rand stehende Bäume und Büsche strukturiert.
Keine der Weiden hatte einen Unterstand. Die Weidegatter, Tränkeeinrichtungen
und Salzleck-sterne befanden sich in allen Fällen im hofnahen Bereich.
Neu portioniert wurde immer im hof-fernen Bereich (Tab 2).
Die Tiere wurden zwischen 10 und 16 Uhr gemäß dem in Tabelle 3 aufgeführten Ethogramm auf der Weide beobachtet. Kontakt zu den Tieren wurde dabei immer vermieden. Zum einen wurde das Verhalten aller Tiere mit den Kategorien Liegen, Stehen, Lokomotion und Futterauf-nahme alle 15 Minuten aufgenommen. Zusätzlich wurde alle 30 Minuten der Aufenthaltsort der Kühe auf der Weide protokolliert. Dabei wurde gemäß einer Skizze zwischen dem Hof nahelie-genden Bereichen und dem Hof fernen unterschieden. Zum anderen wurden fünf Tiere des Be-standes willkürlich ausgewählt, zur individuellen Unterscheidung vor Austrieb markiert und dann direkt und kontinuierlich beobachtet.
Statistik
Die Beobachtung per Intervallmethode
(Scan-sampling in Verbindung mit Instantaneous sampling) ermöglichte
das Erfassen von Zustandsverhaltensweisen, die nach ihrem Auftreten langer
andauern Es war sehr wahrscheinlich, dass sich die Verhaltensweisen im
Zeitintervall jeweils nicht änderten Der Anteil der beobachteten Verhaltensweisen
an den Gesamtbeobach-tungen wurde als Häufigkeit/Zeiteinheit (Frequenz)
angegeben Mit der Dauerbeobachtung auf der Weide konnte zusätzlich
auch die Dauer von kürzeren Ereignisverhaltensweisen (Liegestel-lung,
Wiederkauen) angegeben werden (Martin u Bateson 1993) Die Einzelwerte der
Variablen aus allen Beobachtungstagen wurden jeweils pro Betrieb zusammengefasst
und gemittelt, so-dass pro Betrieb und Variable ein Wert zur Verfugung
stand (n)
Die Feldstärkemessungen wurden
im Rahmen des Projekts von einem Ingenieurbüro durchge-führt
und dokumentiert (Wuschek 2001.) Dabei wurde die Strahlenbelastung als
Summenexpo-sitionsfaktor E* bezüglich der zur Zeit gültigen Grenzwerte
in Promille angegeben. Die Betriebe wurden entsprechend ihrer Exposition
durch das hochfrequente elektromagnetische Feld für die erste statistische
Analyse in zwei Gruppen - Exposition (E) und Kontrolle (K) - eingeteilt,
für wei-tere Auswertungen außerdem in vier Gruppen A-D (Tab
4). Die Mehrzahl der Betriebe aus Gruppe D lagen in Hessen (9), die meisten
A-Betriebe in Bayern (9).
Die lineare Summe aus Mobilfunk
(GSM +), Rundfunk und TV ergab im am stärksten exponier-ten Stall
11,6 %o des gesetzlich zulässigen Limits. Die höchste Mobilfunkexposition
wurde mit 5,2 ‰ gemessen Die Grenze zwischen Exposition und Kontrolle lag
bei 0,337 ‰.
Zwischen den Gruppen wurden Mittelwerte
mit einem t-Test verglichen. Aufgrund der Vorbeo-bachtungen konnten Effekte
durch das elektromagnetische Feld bei intensiver exponierten Rin-dern (Gruppe
E bzw. Gruppe A) erwartet werden. Daher wurde der Signifikanztest einseitig
durchgeführt. Vor dem t-Test wurde ein Varianzquotienten-Test (F-Test)
durchgeführt, um die Gleichheit der Varianzen zu prüfen. Sofern
der F-Test signifikant und damit die Gleichheit der Varianzen nicht gegeben
war, wurden die Daten korrigiert und der t-Test wiederholt. Im Fall kleiner
Stichprobenumfänge wurde auch der t-Test angewandt und signifikante
Ergebnisse wurden als explorativ gewertet (Petrie u Watson 1999) Außerdem
wurden alle Parameter mit der auf dem Hof ermittelten Mobilfunkexposition
korreliert. Das Signifikanzniveau wurde auf p # 0,05 festgelegt Hochsignifikant
waren Unterschiede mit p # 0,01.
Ergebnisse und Diskussion
Stallbeobachtung
Normalverhalten
In allen Gruppen konnte ein typisches
Tagesprofil für Kühe in Anbindung beobachtet werden, bestehend
aus zwei Liegephasen mit mehr als 50 Prozent liegender Tiere zwischen 11
Uhr und 15 Uhr sowie 23 Uhr und 5 Uhr. Der Aktivitätsverlauf war biphasisch.
mit Höhepunkten morgens und nachmittags während der Stallarbeit
(Sambraus 1978).
Das Liegeverhalten wurde zwischen
Mitternacht und 4 Uhr sowie zwischen 12 Uhr und 16 Uhr anhand der Liegelange
in den Gruppen A und D analysiert (n = 19). Auf einem Betrieb der Gruppe
A wurde die Videoanlage beschädigt, sodass die Aufnahme nicht verwertet
werden konnte. Es wurde zwischen kurzen (< 10 Minuten), mittellangen
(10-60 Minuten), langen (60-90 Minuten) und sehr langen (> 90 Minuten)
Liegephasen
unterschieden. Dabei zeigte sich,
dass die Kühe der intensiv exponierten Gruppe A zwischen 0 Uhr und
4 Uhr tendenziell weniger mittellang lagen als die der schwach exponierten
Gruppe D (p = 0,06). Krohn und Munksgaard (1993) fanden den höchsten
Anteil liegender Tiere in der mittellangen Phase. Dies wurde als eine typische
Verteilung der Liegephasen bei Kühen in An-bindung angesehen. Süss
und Andreae (1984) nannten 69 Minuten als mittlere Dauer einer Liegeperiode
für Kühe in Anbindung mit Gitterrost. Der auffallende Befund
aus Gruppe A wurde durch eine signifikant negative Korrelation der Liegephasenanzahl
mit der GSM-Exposition un-terstützt (Korrelation nach Pearson; r =
- 0,428; p<0,05), sodass angenommen wurde, dass die Kühe das Aufstehen
und Niederlegen scheuten (Abb. 1). Sie blieben entweder länger liegen
oder legten sich gar nicht erst hin. Die gleiche Strategie zeigten Färsen
beim Vergleich zwi-schen Anbinde- und Laufstallhaltung, die als Bewältigung
der mangelnden Haltungsform be-trachtet wurde (Müller et al. 1989).
Da sich tagsüber die Verteilung der Liegephasen nicht un-terschied,
konnten haltungsbedingte Einflüsse wie Standlänge und -breite
ausgeschlossen wer-den.
Ein weiterer Befund im Liegeverhalten
war, dass Rinder der Gruppe A tendenziell häufiger auf der linken
Seite lagen (p = 0,07). Daher könnte die linke Liegeseite die bequemere
Position ge-wesen sein, die infolge des oben genannten ausbleibenden Seitenwechsels
beibehalten wurde. Broucek et al. (1997) fanden signifikante Unterschiede
zwischen Rindergruppen, die unter-schiedlich starken geopathogenen Zonen
ausgesetzt waren. Die linke Körperseite wurde häufi-ger bei stärkster
Exposition gewählt, die rechte bei schwächerer. Sambraus (1978)
berichtete, dass Rinder im Allgemeinen nahezu gleich oft auf der linken
und rechten Körperseite lagen, obwohl die Liegeseite von zahlreichen
Faktoren abhing (Trächtigkeitszustand, Pansenfüllung, Beschaffenheit
und Neigung der Liegefläche).
Auffälliges Verhalten
Das in Vorbeobachtungen dokumentierte
Kopf-zur-Seite-gewendet Verhalten (Löscher u. Käs 1998, Wittkowski
et al. 1998) wurde auf einem Betrieb der Gruppe A bei einer Kuh und einem
der Gruppe B bei zwei Kühen eindeutig beobachtet. Auf beiden Betrieben
wurde das Verhalten jeweils vor und während der Fütterungs- und
Melkzeiten, also am frühen Morgen und am Nachmittag beobachtet. Es
wurde entweder von einer Kraftfuttergabe oder durch Öffnen des Fressgitters
beendet und trat erst wieder zur darauf folgenden Futterzeit auf. Das Kopf-zur-Seite-gewendet
Verhalten konnte in einem Zeitrahmen mehrfach auftreten, jeweils unterbro-chen
durch Stehverhalten, währenddessen Trippeln und Kopfbewegungen gezeigt
wurden, und dauerte unterschiedlich lang an, von wenigen Sekunden bis zu
mehreren Minuten. Vom ersten bis zum letzten Auftreten vergingen zirka
30 bis 40 Minuten. Es fand keine sichtbare Interaktion zwischen den Tieren
statt, während der Kopf gewendet wurde. Alle drei Tiere wendeten den
Kopf immer in die gleiche Richtung. Eine der Kühe zeigte das Verhalten
immer in Verbindung mit einer vorausgehenden stereotypen, dem Weben ähnlichen
Bewegung.
Der beschriebene Zeitpunkt und das
Auftreten des Verhaltens sprachen nicht für einen direkten Einfluss
des elektromagnetischen Feldes. Es wurde angenommen, dass das Kopf-zur-Seite-gewendet
Verhalten dem Erregungsabbau und der Bewältigung einer unbefriedigenden
Situati-on diente (coping-Strategie). In den Fütterungs- und Melkzeiten
wurden die Tiere durch vielfälti-ge Reize erregt und ihre Motivation
allgemein gesteigert. Es konnten generell vermehrte Unru-hekennzeichen
wie Trippeln, Weben oder Kopfbewegungen beobachtet werden, und es traten
am häufigsten soziale Interaktionen auf. Die Kraftfuttergabe und das
Öffnen des Fressgitters führten offensichtlich zur Triebbefriedigung,
da das Verhalten bis zur nächsten Fütterung nicht mehr gezeigt
wurde. Nielsen et al. (1997) konnten bei Färsen in Laufstallhaltung
vermehrtes frontales Anlehnen des Kopfes an Herdengenossen beobachten,
wenn das Flächenangebot auf der eingestreuten Liegefläche pro
Kuh am geringsten war. Es wurde als ein Abweichen vom normalen Verhalten
beurteilt und vermutet, dass die Tiere die Überbelegung des Stalles
nur so kompensieren können. Da die Haltung des Kopfes zum Partnertier
- Nasenrücken senkrecht zum Tierkörper des Partners identisch
mit dem Kopf-zur-Seite-gewendet Verhalten ist, wurde angenommen, dass die
Verhaltensweisen identisch waren, sich aber im Ablauf aufgrund der Haltungsform
unterschieden. Angebundene Rinder konnten dieses Verhalten nur mit zur
Seite gewendetem Kopf zeigen. Redbo (1993) beobachtete gehäuft Stereotypien
bei Milchkühen in Anbindehaltung, nachdem die Weidesaison beendet
war und, wenn den Tieren Futter vorgelegt wurde, das sie aber nicht erreichen
konnten. Solange die reizauslösende Situation anhielt und sich der
Trieb nicht befriedigen ließ, lernten die Tiere, die Situation auf
andere Weise zu bewäl-tigen (Sambraus 1993).
Weidebeobachtung
Das Tagesprofil der Verhaltenskategorien
Liegen, Stehen, Futteraufnahme und Lokomotion unterschied sich zwischen
der Expositions- (E) und Kontrollgruppe (K). Die meisten Kühe der
Kontrollgruppe begannen nach Weideaustrieb Futter aufzunehmen, die meisten
Tiere der Ex-positionsgruppe nahmen am Nachmittag Futter auf. Der Anteil
liegender Tiere erreichte um 12.30 Uhr in der Kontrollgruppe fast 80 Prozent.
Anschließend fiel der Wert bis 16 Uhr auf 20 Prozent. Der Anteil
der liegenden Tiere der Gruppe E war immer unter 50 Prozent. Dieselben
Kühe konnten häufiger stehend und in Bewegung beobachtet werden.
Intensiv exponierte Kühe hielten sich überwiegend im hofnahen
Bereich auf. 40 bis 60 Prozent der Kontrollen waren bis zum frühen
Nachmittag im hoffernen Bereich zu sehen. Nach dem Austrieb auf die Weide
am Morgen war eine ausgedehnte Graseperiode zu erwarten, im Anschluss eine
Liegephase, dann wieder eine kürzere Graseperiode und abschließend
erneut ein kurzes Hinlegen oder das Auf-stellen am Ausgang der Weide (Porzig
1969). Die Befunde in der exponierten Gruppe sprachen für ein deutlich
abweichendes Verhalten. Da ausschließlich im fernen Bereich nachportioniert
wurde und damit frisches Gras zu erwarten war, überraschte es außerdem,
dass die exponier-ten Kühe häufiger hofnah zu sehen waren. Obwohl
deren Weiden am Hof lagen und die der Kontrollen außerhalb der Dörfer,
schienen die einzelnen Bereiche der Weide gleich attraktiv. Die unterschiedlichen
Austriebszeitpunkte sollten lediglich zu einer Verzögerung im Auftreten
der ersten Liegephase führen, aber nicht das gesamte Tagesprofil beeinflussen.
Temperaturen zwischen 8 °C und 20,5 °C stellten keine Extreme für
Rinder dar, die zu deutlichen Verhaltens-änderungen führen würden
(Süss u. Andreae 1984) (Tab. 2).
Die Dauerbeobachtung der fünf
Fokustiere ergab, dass sich die Wiederkaufrequenz (t = - 4,445; Freiheitsgrad
6; p <: 0,01) und Wiederkaudauer (t = - 3,437; Freiheitsgrad 6; p s
0,01) hochsig-nifikant zwischen den Gruppen E und K unterschieden (Abb.
2 u. 3). Das Wiederkauen stellte einen essentiellen Verdauungsvorgang dar,
dessen Häufigkeit und Dauer zur physiologischen Bewertung herangezogen
werden konnte (Porzig u. Sambraus 1991). Vermindertes Wieder-kauen war
Ausdruck eingeschränkten Wohlbefindens, dessen Ursache die Exposition
mit elekt-romagnetischen Feldern sein könnte. Negative Korrelationen
der Verhaltensweisen mit der GSM-Exposition konnten diesen Befund unterstützen
(Korrelationen nach Pearson: Wiederkau-frequenz: r = - 0,857; p < 0,01;
Wiederkaudauer: r = - 0,654; p <; 0,05). Es musste berücksich-tigt
werden, dass die Anzahl der Werte (n = 8) gering war und jeweils zwei Ausreißer
zu beo-bachten waren, die den r-Wert verzerrten (Petrie u. Watson 1999).
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse lassen auf einen
indirekten Einfluss des elektromagnetischen Feldes schließen.
Dabei bleibt die Wirkung der elektromagnetischen
Felder im Organismus ungeklärt. Löscher und Käs (1998) berichten,
dass die Auswirkungen durch Strahlenexposition einer chronischen Stressbelastung
ähneln. Möglicherweise führt ein hochfrequentes elektromagnetisches
Feld zur Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- sowie
Sympathikus-Nebennierenmark-Achse und weiterer endogener Systeme. Diese
Hypothese wird in einem weiteren Teilprojekt der Gesamtuntersuchung durch
eine veränderte Kortisolausschüttung aus der Nebennierenrinde
bei intensiv exponierten Kühen unterstützt (Wenzel et al. 2002).
Vermu-tungen, die Rinder würden direkt der Strahlung ausweichen, sind
durch die Befunde über die Weidenutzung und das Kopf-zur-Seite-gewendet
Verhalten nicht unterstützt worden (Harsch 1995, Löscher u. Käs
1998; Wittkowski et al. 1998).
Da das Verhalten ein sensibler Parameter
zur Feststellung der Reaktion der Rinder auf ihre Haltungsumwelt ist (Anderson
u. Phillips 1985), deuten die Resultate dieser Arbeit - verändertes
Liegeverhalten im Stall, untypische Tagesprofile auf der Weide und Unterschiede
im Wieder-kauverhalten - auf eine Abweichung des Organismus im Sinne eingeschränkten
Wohlbefindens hin (Unshelm 1991). Die intensive Exposition mit hochfrequenten
elektromagnetischen Feldern könnte die Lebensbedingungen der Rinder
verschlechtern, die mit Verhaltensabweichungen antworten.
Einflüsse aufgrund der Betriebsführung
auf die Auswertung der Daten können nahezu ausge-schlossen werden.
Denn eine der Untersuchung vorausgegangene tierhygienische Bewertung der
Betriebe (Haltung, Klima, Management) ergibt ein einheitliches Bild in
allen Gruppen. Inso-fern scheint auch die Auswahl und geografische Verteilung
der Betriebe nicht relevant. Eine Auswirkung der ungleichen Rasseverteilung
in den Expositionsgruppen auf die Resultate kann weder bestätigt noch
ausgeschlossen werden. Es ist zu vermuten, dass Milchkühe unterschied-licher
Rassen und gleichen Haltungsbedingungen vergleichbares Verhalten zeigen.
Die zweite veterinärmedizinische Arbeitsgruppe des Projekts hat auf
sechs Betrieben aus Gruppe A, fünf aus B, zwei aus C und drei Betrieben
aus Gruppe D der Gesamtuntersuchung BVD-Antikörper-positive Tiere
ermittelt (Volmer et al. 2001). Ein Zusammenhang zwischen BVD-Status und
be-obachteten Effekt ist aufgrund der vorhandenen Datenlage nicht abklärbar.
Insgesamt erscheint der Einfluss von Störgrößen im Rahmen
dieser Feldstudie gering. In anderen konnte wegen geringer Gruppengrößen
und nicht standardisierter Beobachtungsmethodik keine verhal-tenskundlichen
Effekte beim Rind im Bereich niederfrequenter Strahlung beobachtet werden
(Algers et al. 1981, Algers u. Hennichs 1985, Algers u. Hultgren 1987,
Amstutz u. Miller 1980, Angell et al. 1990). Unter kontrollierten Bedingungen
dagegen können Zusammenhänge nach-gewiesen werden (Broucek et
al. 1997,Burchard et al. 1997/ 1998). Anderson und Phillips (1985) geben
Hinweise, dass Effekte mit der Intensität der Exposition verknüpft
sind. Daher könnte erst die neuzeitliche Anhäufung von elektromagnetischen
Feldern in der Umwelt zu den beobachtbaren Effekten führen. Dies sollte
in weiteren Untersuchungen unter kontrollierten Be-dingungen abgeklärt
werden.
Anschriften der Verfasser: Dr. Christoph
Wenzel, Klinik für Wiederkäuer und Schweine, Abt. Wiederkäuer,
Frankfurter Straße1?, 35392 Gießen, Dr. Anna-Caroline Wöhr
und Prof. Dr. Jür-gen Unshelm, Institut für Tierhygiene und Verhaltenskunde
und Tierschutz, Schwere-Reiter-Str 9, 80797 München
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