Mehr zum Thema Mobilfunk und Gesundheit

Reutlingen: Massiver Widerstand gegen Richtfunkanlage

Quelle: Reutlinger Generalanzeiger, 19.04.2002

Alle einig: »Wir wollen das Monstrum nicht«

Von Holger Dahlhelm

Reutlingen-Rommelsbach. (GEA) »Wir wollen das Monstrum nicht«: Ein Mann aus der rund zweihundertköpfigen Zuhörerschar brachte nach gut zwei Stunden Diskussion auf einen einfachen Nenner, was die Bevölkerung des Reutlinger Nordraumes bewegt: Ein Richtfunkmast fürs Handy-Netz vor der Tür - das kommt für sie nicht in Frage. Die Aussage eines Gutachters, dass die Strahlenbelastung der Bevölkerung völlig unbedenklich wäre, konnte diese Ablehnung nicht ändern.

Ein nahezu hundert Meter hoher Gittermast auf der Oberen Braike zwischen Rommelsbach und Oferdingen, wo sich heute schon zwei Hochspannungsleitungen kreuzen: Diese Anlage hält die Vodafone für den Ausbau ihres Mobilfunknetzes (D2) für unentbehrlich. Sie würde sie aber auch anderen Netzbetreibern wie T-Mobil, Interkom, Quam, e-Plus, Mobil-Com zur Verfügung stellen, führte Achim Kraft (Direktion Stuttgart) beim Informations- und Anhörungsabend der Stadt am Mittwochabend in der Rommelsbacher Wittumhalle aus. Auch Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste könnten davon profitieren.

Vodafone: Pläne geändert

Davon abgesehen, soll der Mast laut Kraft - abweichend von früheren Plänen - nur Parabolspiegel für die Fernübermittlung der Gespräche und Daten tragen, keine Basisantennen, die zur Erde strahlen, um Kontakt mit einzelnen Handys zu halten. Ebenso nicht mehr aktuell seien Vodafones Absichten, ein dreigeschossiges Betriebsgebäude mit Büros und Werkstätten und Notstrom-Versorgung hier zu errichten. Wegen der schon eingetretenen Verzögerungen sei es nach Kornwestheim verlegt worden, sagte Kraft auf Fragen aus den Kreisen der Initiative »Bürger contra Sendemast«, die Täuschungsmanöver argwöhnt.

Belastung unkritisch?

Im Auftrag der Stadtverwaltung bemühte sich der Umweltanalytiker Norbert Honisch am Mittwochabend, den Zuhörern die Unterschiede der Strahlenbelastung durch Richtfunk einerseits und Basisstationen andererseits bewusst zu machen. Die stark gebündelten, mit schwacher Leistung arbeitenden und nicht »gepulsten« Emissionen der Richtantennen seien auch nach strengsten Maßstäben »unkritisch«, sagte Honisch. Sie lägen vieltausendfach unter der Strahlenbelastung, der die Bevölkerung im Raum Reutlingen schon heute durch Radio, Fernsehen und Funkdienste ausgesetzt sei. (Antwort aus dem Publikum: »Manchmal reicht ein Tropfen, damit das Fass überläuft.«)

Mehrfach betonte Honisch außerdem, dass die Emissionen des Richtfunks nicht mit der Strahlung verglichen werden dürften, die von Handys selbst und ihren Gegenstationen - den Basisantennen - ausgehen und deren Schädlichkeit unter ernst zu nehmenden Wissenschaftlern und Ärzten heute nicht mehr bestritten wird.

Tiefes Misstrauen

Seine Worte erzielten jedoch keinerlei Wirkung. Einhellig lehnten die rund vierzig Männer und Frauen, die sich an diesem Abend zu Wort meldeten, jeden Masten ab. Dabei kam ein umfassendes, tiefes Misstrauen gegenüber der Mobilfunktechnik, gesetzlichen Grenzwerten, Gutachten und Netzbetreibern gleichermaßen zum Ausdruck.

Eine immer wiederkehrende Sorge: Was schädlich ist und was nicht, das könnte sich erst in Jahren oder Jahrzehnten zeigen. »Und dann ist es für unsere Kinder, die unter dem Sendemast aufwachsen, zu spät.«

Ein anderes Argument: Heute verspreche die Vodafone wohl, ihre strahlungs-intensiven Basisantennen nicht an den Mast zu hängen, aber Garantien gebe es keine. »Dann werden die Verträge gekündigt, und niemand kann das mehr verhindern.« Tatsächlich sind Kombi-Masten für Richt- und Mobilfunk üblich, bewies Georg Leitenberger von der Bürgerinitiative anhand von Bilder von der Eninger Weide und aus Vaihingen.

»Da geht's um die Kohle«

Fast alle Kritiker setzten sich außerdem vehement für den Schutz der Landschaft ein, die durch Starkstromleitungen schon genug verschandelt sei. Nicht nur das; die Magnetfelder der Strippen bescherten den Menschen, die in der Nähe wohnen und arbeiten, auch gesundheitliche Beschwerden. Im Bildungszentrum Nord, so Realschulrektor Conrad Dolderer, klagten vor allem Frauen und Mädchen bei bestimmten Wetterlagen unter starken Kopfschmerzen. Der Beifall aus der Menge zeigte, dass viele die Ansicht teilten, solche Beschwerden rührten von den Stromleitungen her.

Schließlich gab es noch Schelte für den Mobilfunk und seine Anbieter überhaupt: »Da geht's rein um die Kohle«, würden Abermillionen in Werbung und zu Image-Zwecken in die Sportförderung gesteckt, statt Verantwortung zu zeigen und in die Erforschung und Prävention von Strahlenschäden zu investieren. Einige Gegner bezweifelten den Bedarf an zusätzlichen Richtfunk-Stationen überhaupt, andere schlugen die Datenübermittlung durch abgeschirmte Erdkabel vor.

Zwar hatte Baubürgermeisterin Ulrike Hotz eingangs Unwillen geerntet, als sie klar stellte, eine »mobilfunk-freie Zone Reutlingen« könne es nicht geben; die Stadt müsse ihren Teil dazu beitragen, die Telekommunikation auszubauen. Verwaltung und Rat wollten aber durch ein »transparentes und nachvollziehbares« Planungsverfahren die Auswirkungen im Griff behalten, wobei sowohl der Aufbau zusätzlicher Basisstationen für die »flächenhafte Versorgung« der Handynutzer kontrolliert werden solle als auch der Standort eines Richtfunkmastes. Beifall gab es für die Aussage der Bürgermeisterin, dass nach den Kriterien Reutlingens ein Funkmast bei Rommelsbach/Oferdingen am wahrscheinlichsten ausscheide, weil er zu dicht an Siedlungsgebieten stehe.

Die gleich lautende Auffassung der beiden Bezirksgemeinderäte trug noch einmal Ortsvorsteher Wilhelm Brielmann vor, während sein Altenburger Kollege Rolf Nedele die abwartende Haltung seines Bezirksgemeinderates begründete. Dieser wolle erst noch mehr Informationen sammeln und am 8. Mai entscheiden.

Für Gönningen kommt der Rossberg als Alternativ-Standort auf keinen Fall in Frage, unterstrich Ortsvorsteher Dr. Paul Ackermann. Landschafts- und Denkmalschutz stünden einem zusätzlichen Masten im Wege. Am und im alten Aussichtsturm sind bereits eine Unzahl unterschiedlicher Antennen installiert und bestrahlen Tag und Nacht die Umgebung: »Der Rossbergturm hat genug«, wetterte Walter Haas, der ihn im Auftrag des Albvereins betreut.

Mehr zum Thema Mobilfunk und Gesundheit