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Die Verleumdungskampagne gegen den schwedischen Onkologen Lennart Hardell und wer dahinter steckt

Ein italienisches Gerichtsurteil beruht auf Hardells Ergebnissen

Am 12. Oktober 2012 entschied das oberste italienische Kassationsgericht, dass die Verwendung von Mobil- und Schnurlostelefonen Hirntumore verursachen kann. Für dieses Grundsatzurteil waren die Ergebnisse eines schwedischen Forschungsteams, angeführt von dem Onkologen und Epidemiologen Lennart Hardell vom Universitätskrankenhaus Örebro, von Bedeutung. Denn Hardells Team hat mehrfach festgestellt, das Mobil- und Schnurlostelefone das Risiko für Hirntumore erhöhen.

Das Gericht schenkte dem italienischen Geschäftsmann Innocente Marcolini Glauben, dass seine schwere Er-krankung durch die intensive Nutzung von Geräten, die Mikrowellen aussenden, verursacht wurde. Dieses Urteil wurde allerdings nicht von allen begrüßt. Dazu gehörte u.a. auch Professor Alexander Lerchl von der Jacobs University in Deutschland. Er schloss sich stattdessen einer Gruppe von Leuten an, die schon vor zehn Jahren auf die Suche nach etwas gegangen waren, womit man Hardells Ruf schädigen könnte.

Sie hatten einen alten Bericht aus den 80er Jahren über ein völlig anderes und bereits seit mehr als zehn Jahren erledigtes Thema gefunden: die Chemikalie Dioxin als Krebserreger beim Menschen. Hardell und sein früheres Team am Universitätskrankenhaus Umeå in Schweden hatten in den 80er Jahren wiederholt festgestellt, dass Dioxin das Krebsrisiko von exponierten Arbeitern erhöht. 1997, also ein Jahrzehnt später, stufte die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der WHO Dioxin als krebserregenden Wirkstoff ein (Gruppe 1). Grundlage waren nicht nur neuere epidemiologische Nachweise aus den 90er Jahren, die Hardells Ergebnisse bestätigten, sondern zusätzlich noch Belege aus Tierexperimenten und umfangreiche mechanistische Er-kenntnisse zu den krebserregenden Eigenschaften1.

Auch heute noch wird Hardell als ‚Problem’ gesehen. Der Grund dürfte sein Forschungsgebiet sein, das sich auf für den Menschen krebserregende Wirkstoffe konzentriert, und dabei nicht nur auf die chemische Exposition, sondern – was im letzten Jahrzehnt weitaus wichtiger geworden ist – auch auf den Mobilfunk. Ein Forschungs-gebiet, welches auf die Besorgnis einer Milliardenindustrie stößt: nämlich die drohende Gefahr, dass Ergebnisse herauskommen, die ein zunehmendes Risiko für Hirntumore bei Nutzung von Mobiltelefonen zeigen. Solche Ergebnisse hätten gravierende Auswirkungen auf diese wirtschaftlich sehr starke und einflussreiche Industrie.

Schon 2002 und wiederum 2011 suchten einige Leute nach etwas, was Hardell als negativ angelastet werden könnte. Sie fanden denselben alten Bericht, den Professor Lerchl jetzt aus den Tiefen des Archivs der schwedischen Strahlenschutzbehörde heraufholte. Er wurde dort 2002 von dem früheren Direktor Lars-Erik Holm, heute Leiter der nationalen schwedischen Behörde für Gesundheit und Wohlfahrt, abgelegt. Über die meisten meisten der folgenden Ereignisse habe ich 2010 in meinem Buch „Mobiltelefonins hälsorisker” berichtet.

Alle verleumderischen Aktionen fielen mit drei wichtigen, kritischen Ereignissen zum Thema Mobiltelefon und Hirntumorrisiko zusammen:
- 2002 mit der kritischen Phase von Dr. Christopher Newmans Prozess wegen Hirntumor in den USA. Newman verklagte im Jahr 2000 die Mobiltelefonfirmen wegen eines Hirntumors, an dem er letztendlich starb.
- 2011 mit der Bewertung des Krebsrisikos der Mobilfunkstrahlung seitens der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC).
- 2012 mit dem italienischen Gerichtsurteil.



Der Fall Newman, Adami und ein Netzwerk von US-Experten mit Verbindungen zur Industrie

Im April 2002 erhielt Professor Hans-Olov Adami, Karolinska-Institut in Schweden und Harvard School of Public Health, einen anonymen, Hardell verleumdenden Brief. Der anonyme Absender schrieb, dass er in letzter Zeit die „exzellenten Artikel“ von Adami und anderen in der Presse verfolgt hätte. Gleichzeitig beschuldigte er
Hardell, Daten zu erfinden. Der Brief enthielt nichts als einige unbegründete Anschuldigungen und brachte größtenteils die Frustration des anonymen Verfassers zum Ausdruck über die Tatsache, dass Hardell Forschungsförderung erhalten hatte und einen Preis von der schwedischen Krebs- und Allergie-Stiftung:
„Vielleicht kann diese Information Ihnen helfen bei Ihrem Bemühen, dem Problem Lennart Hardell auf den Grund zu gehen?“
Im Jahr 2001, als der Newman-Prozess lief, war Adami Erstautor eines Artikels, in dem Hardells Forschung an-gegriffen wurde und der zuerst in der schwedischen Zeitung Svenska Dagbladet erschien. Der Artikel wurde auch ins Englische übersetzt und in Bioelectromagnetics publiziert. Einer der Koautoren der englischen Version Experts who talk rubbish [Experten, die Stuss erzählen] war interessanterweise Professor Anders Ahlbom. Er scheint den von ihm unterzeichneten Artikel nicht sorgfältig gelesen zu haben, denn zur gleichen Zeit untersuchte er denselben Aspekt, den er und Adami nun als „bizarr“ in Hardells Studie erklärten. Zu der Zeit war Ahlboms Bruder in Brüssel Lobbyist des führenden schwedischen Telekommunikationsanbieters, eine Verbindung, die den meisten bis vor kurzem unbekannt war.

Adami, Erstautor des Artikels über die „bizarre“ Entdeckung eines erhöhten Hirntumorrisikos auf der Seite des Kopfes, wo das Mobiltelefon genutzt wurde, wird seit vielen Jahren von der chemischen Industrie gefördert, ist Mitglied ihres wissenschaftlichen Beirats (CEFIC)2 und gibt (als solcher) für die meisten chemischen Expositionen wie z.B. Formaldehyd und Atrazin hinsichtlich Krebs eine Entwarnung3, und zusätzlich auch für die Chemikalien, bei denen Hardell4 zeigte, dass sich das Krebsrisiko von exponierten Arbeitern erhöht. Er ist außerdem ein langjähriger externer Berater der Consultingfirma Exponent5, dem bekanntesten Unternehmen für Product Defense [Produktverteidigung mit einer Mischung aus Wissenschaft und PR] in den USA. Er hat zusammen mit Exponent-Beratern Artikel veröffentlicht, die direkt von der chemischen Industrie bezahlt wurden6. Sowohl die chemische als auch die Mobilfunkindustrie sind Kunden von Exponent.

Adami war Anfang 2001 auch für einen Leitartikel zum Thema Mobiltelefonnutzung und Hirntumore verantwortlich7. Mitunterzeichner war Professor Dimitrios Trichopoulos, häufig Adamis Mitarbeiter in Harvard. Ihr Artikel beschwichtigte die in alarmierenden Berichten erhobenen Befürchtungen, dass die Nutzung von Mobiltelefonen Hirntumore verursacht (ihre Schlussfolgerung zogen sie aus einer Studie mit nur 11 Personen,die Mobiltelefone länger als fünf Jahre benutzt hatten) und sie empfahlen Untätigkeit, bis die Risiken für Hirntumore tatsächlich belegt seien: „Wir glauben, es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass eine Nutzung von Mobiltelefonen das Hirntumorrisiko wesentlich erhöht.“

Zur gleichen Zeit war Adamis und Trichopoulos‘ Kollege in Harvard, Professor Meir Stampfer, auf Seiten der Industrie am Newman-Prozess beteiligt. Auf der anderen Seite stand Hardell als Hauptgutachter für den durch einen Hirntumor geschädigten Dr. Newman. Nachdem Hardell im Februar 2002 im Gericht ausgesagt hatte, berichteten die Medien, dass ein großer Teil des Prozesses auf Hardells Leumund und Zuverlässigkeit beruhen würde.

Nach Erhalt des anonymen Briefes gab Adami diesen an den Leiter der Universität Örebro weiter, offenbar ein Versuch, Hardell in Schwierigkeiten zu bringen. Er informierte auch Lars-Erik Holm, den Direktor der schwedischen Strahlenschutzbehörde über Hardell und den anonymen Brief. Dann schickte Adami diesen Brief an Holm.



Der Direktor der schwedischen Strahlenschutzbehörde Lars-Erik Holm und die Consultingfirma IEI

Kurz danach nahmen Lars-Erik Holm und John Boice vom International Epidemiology Institute (IEI), einer privaten Consultingfirma in den USA, telefonisch in Kontakt mit einander auf. Resultat war, dass Holm Boice mit einer 10 bis 15 Seiten langen Bewertung der epidemiologischen Studien zu Mobiltelefonen und Hirntumoren beauftragte. Holm, Boice, Adami und Trichopoulos kannten sich seit vielen Jahren. Adami und Boice haben z.B. an einer Studie zu Brustimplantaten zusammen gearbeitet, die über IEI vom Implantate-Hersteller Dow Corning finanziert wurde. Bis 2000 schrieb IEI offiziell auf seiner Website, dass sie Firmen bei rechtlichen Problemen unterstützen. Adamis Kollege Trichopoulos war außerdem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des IEI.
Interessanterweise scheint IEI auf irgendeine Weise früher auf derselben Seite wie Professor Stampfer im Newman-Prozess involviert gewesen zu sein. Denn eine Fax-Nummer deckte auf, dass das IEI die Gutachter waren, die sechs Monate vorher – im November 2001 – Hardells neue Studie, die in einer Fachzeitschrift er-scheinen sollte, ablehnten. Der Anwalt von Motorola, Tom Watson, wurde darüber informiert und beantragte, die gutachterlichen Kommentare in den Prozess mit aufzunehmen. Nur IEI konnte die Quelle für Motorolas Verteidigungsstrategie sein.

Zusätzlich war IEI an einer dänischen Kohorten-Studie beteiligt, die von dänischen Mobiltelefonfirmen und IEI gefördert wurde. Die Studie, bereits im Februar 2001 veröffentlicht, meldete keine erhöhten Risiken für Krebs und Hirntumore bei 400.000 dänischen Abonnenten von Mobiltelefonen, wobei die 200.000 stärksten Nutzer nicht berücksichtigt wurden. Es gibt Beispiele von weiteren Themen, zu denen IEI Studien förderte, aber tat-sächlich vorher Gelder der beteiligten Industrien erhielt, z.B. von Dow Corning (Brustimplantate) und der Margarine-Industrie.

Holm bot Boice 100.000 SEK für den Bericht und ignorierte die Tatsache, dass Boice eine der zu bewertenden Studien, bezahlt von Mobiltelefonfirmen, selbst durchgeführt hatte. Gemäß der schriftlichen Bestätigung von Holm an Boice sollte die Bewertung durch IEI „innerhalb von 2 bis 4 Wochen nach Publikation der neuen schwedischen Daten vorliegen“. Die schwedischen Daten, auf die sich Holm bezog, waren Hardells neue Er-gebnisse zum Thema Mobiltelefonnutzung und Hirntumorrisiko, deren baldige Veröffentlichung erwartet wurde.

Holms nächster Schritt war ein Anruf bei dem emeritierten 83 Jahre alten Professor Lars-Gunnar Larsson, um ihn um einen Bericht aus den 80er Jahren zu bitten. Der Bericht ging an Holms private Anschrift. Später erzählte Larsson auch einem Journalisten, dass Holm ihn angerufen und um den Bericht gebeten habe. Das taten aber auch zwei weitere Personen: Professor Magnus Ingelman-Sundberg vom Karolinska-Institut, im Jahr 2001 Koautor von Adamis Artikel gegen Hardell, und Björn Cedervall, Angestellter des schwedischen Kraftwerks-giganten Vattenfall Power Consultant und Mitglied einer schwedischen Organisation von Skeptikern. Larsson weigerte sich jedoch, diesen beiden den Bericht zu schicken. Nur Holm sollte ihn erhalten und Larsson bat ihn, den Bericht vertraulich zu behandeln.

Eine Woche später berief Holm Anders Ahlbom zum Vorsitzenden der ‚unabhängigen Expertengruppe‘ bei der schwedischen Strahlenschutzbehörde. Er sollte dort bis Juni 2011 bleiben, als er wegen nicht offengelegter Interessenkonflikte zurücktrat. In seiner Zeit verfasste er acht Berichte, die sowohl Hardells als auch andere Ergebnisse, die gesundheitliche Risiken in Verbindung mit Mobiltelefonstrahlung zeigten, zurückwiesen.

Wenn man jetzt, zehn Jahre später, Holm nach diesen Ereignissen fragt, erklärt er, dass Larsson ihn im Frühling 2002 unverhofft wegen eines 16 Jahre vorher geschriebenen Berichts kontaktierte. Die Abfolge der Ereignisse spricht jedoch für Larssons† Version.



Die Journalistin

Wie vereinbart verfassten Boice und Joseph K. McLaughlin eine Bewertung. Und wie erwartet gingen sie mit Hardells Studien sehr kritisch um und priesen Studien, die kein Risiko feststellten, darunter ihre eigene Industrie-geförderte dänische Kohorten-Studie, wobei sie vergaßen zu erwähnen, dass diese die 200.000 stärksten Nutzer nicht berücksichtigt hatte. Als die Bewertung vorlag, brachte Holm Larssons Bericht mit ins Büro und nahm ihn zu den Akten, so dass er ein öffentlich zugängliches Dokument der Behörde wurde. Zugleich schickte er den anonymen, Hardell verleumdenden Brief an den Rektor der schwedischen Universität Umeå. Beide Universitäten, Örebro und Umeå, ignorierten jedoch diesen mit unbegründeten Anschuldigungen versehenen Brief, der größtenteils nur die Frustration zum Ausdruck brachte, dass Hardell Förderung und Preise von der Krebs- und Allergie-Stiftung erhält. Holm (oder Adami) informierten wahrscheinlich zu der Zeit auch die Journalistin Inger Atterstam von der schwedischen Zeitung Svenska Dagbladet über den Larsson-Bericht und die IEI-Bewertung.

Folglich schrieb Atterstam zwei sehr unausgewogene und kritische Artikel über Hardell, die noch am selben Tag im Svenska Dagbladet erschienen. In den Artikeln wurde behauptet, dass Hardell der „schwedische Meister des Krebsalarms“ sei, und zwar mit dem Argument, dass Hardell alles vom Tampon über Stillen bis zu Fernseh-geräten als Krebsrisiko erklärte, doch wurde darauf nicht näher eingegangen. Hardell hatte nämlich behauptet, dass mit Chlor gebleichte Tampons Dioxin, bekannt als krebserregende Chemikalie, enthalten könnten. Er hatte auch herausgefunden, dass Kinder mit der Muttermilch von Müttern, die bestimmten Chemikalien ausgesetzt waren, diese Chemikalien mit aufnehmen (POP: langlebige organische Schadstoffe, bekannt für ein erhöhtes Krebsrisiko) und dass Stillen mit einem erhöhten Risiko für Lymphome in Verbindung steht. Die so genannten POPs in schwedischer Muttermilch waren schon in den 70er und 80er Jahren ein Grund zur Beunruhigung, als die von gestillten Kindern aufgenommene Menge um 20 bis 30 Mal höher war als die noch als akzeptabel geschätzte tägliche Aufnahme8. Und in offenen Deponien entsorgte Fernsehgeräte konnten das Grundwasser mit Chemikalien verseuchen. Alle drei Feststellungen sind unstreitig, wenn sie im richtigen Zusammenhang und nicht als lächerliche Vereinfachung dargestellt werden.

Nachdem die zwei Artikel erschienen waren, schrieb Larsson an Hardell, dass er von Atterstam ein paar Tage vor Erscheinen der Artikel kontaktiert worden war. Er hätte sie dringend gebeten, nicht über diese „alte Geschichte“ zu schreiben. Larsson starb 2009 im Alter von 90 Jahren.



Hardells Version

Hardell dagegen behauptet, dass er, Professor Larsson und Professor Bo Littbrand (Leiter der entsprechenden Abteilung am Universitätskrankenhaus Umeå) im Jahr 1985, also noch in Umeå, zusammengekommen waren und dass dabei die Kontroversen zwischen Hardell und Larsson alle geklärt wurden. Laut Hardell enthielt Larssons Bericht mehrere Missverständnisse und falsche, unbegründete Aussagen. Hardells Sicht der Dinge wird von seinem damaligen Chef, Professor Bo Littbrand, unterstützt. Dieser hat im Dezember 2012 eine Erklärung an Hardell geschickt, die besagt, dass „niemand in dieser Gruppe irgendeine Anschuldigung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens bei mir vorbrachte, und ich hatte in dieser Hinsicht dieselbe Meinung“9. Hardell hatte weder von Larssons Bericht gehört – noch hatte er ihn gesehen – bis Atterstam ihn im September 2002, am Abend bevor die zwei Artikel erschienen, kontaktierte. Man bot ihm keine Möglichkeit, seine Sicht zu den Anschuldigungen vorzubringen.

Im zweiten Artikel vom selben Tag im Svenska Dagbladet griff Atterstam wiederum Hardell an, als sie kritiklos über die Schlussfolgerungen von IEI berichtete. Boice und McLaughlin wurden als „zwei führende amerikanische Forscher“ beschrieben. Offensichtlich in Unkenntnis über ihre Beteiligung an der Industrie-geförderten dänischen Studie schrieb sie, dass von beiden „keine Verbindung zur Mobiltelefonindustrie bekannt“ sei. Die Schlussfolgerungen werden beschrieben als „vernichtend zuallererst für Professor Lennart Hardell, der den überwiegenden Teil der Studien produzierte, die vorgeblich Krebsrisiken in Verbindung mit Mobiltelefonen aufzeigen“10.



Krebsbewertung durch die IARC und Ahlboms Anstrengungen, Hardell aus der Gruppe zu entfernen

Im Mai 2011 war es nun Professor Anders Ahlboms Sache, auf die Suche zu gehen nach etwas, was Hardells Ruf schädigen könnte. Ahlbom hatte von der IARC gerade die Mitteilung erhalten, dass sie ihn wegen seiner nicht offengelegten möglichen Interessenskonflikte für die Arbeitsgruppe, die die Krebsrisiken der Mobilfunk-strahlung bewerten sollte, ablehnten11. Als Reaktion darauf versuchte er zuerst mehrmals, Hardell von der IARC ebenfalls ausschließen zu lassen. Dazu bat er Lars-Erik Holm, jetzt bei der nationalen schwedischen Gesundheitsbehörde, um den 25 Jahre alten Bericht von Larsson. Er fragte auch, ob Holm gewillt sei, diesen direkt an die IARC zu schicken. Holm lehnte ab, bot aber an, Ahlbom eine Kopie (die er noch zu Hause hatte) zu schicken, der diese dann sofort nach Erhalt an die IARC weiterleitete.

Ahlbom war Koautor von Adamis Artikel gegen Hardell (Experts who talk rubbish) im Jahr 2001. In den letzten zehn Jahren hatte er jegliche Gesundheitsrisiken durch Mobiltelefone und natürlich Hardells Studien unbeirrt zurückgewiesen. Er war auch Mitglied der ICNIRP. Er hatte dabei die jetzigen Grenzwerte für Mobiltelefone mitempfohlen, die nicht ausreichen würden, wenn ein Krebsrisiko nachgewiesen ist. Außerdem wird Ahlbom stark von der Mobilfunkindustrie gefördert (Interphone, Cosmos).

Adami kam, um Ahlboms Anstregungen hinsichtlich der IARC zu unterstützen. Er war bestürzt, dass die IARC entschieden hatte, Ahlboms Erklärung zu Interessenkonflikten (Sitz im Aufsichtsrat einer speziell auf die Telekommunikationsindustrie ausgerichteten Consultingfirma) nicht zu akzeptieren, und er war der erste, der ein Protestschreiben an die IARC unterzeichnete12 mit dem Argument, dass „andere“ mehr Interessenskonflikte hätten als Ahlbom (gemeint war Hardell, denn Ahlbom hatte in den letzten Tagen mit dem Direktor der IARC E-Mails über Hardell ausgetauscht, damit der Direktor wüsste, über wen sie redeten). 13
Jedoch waren alle Anstrengungen vergebens und Hardell blieb in der IARC-Arbeitsgruppe. Eine Woche später, am 30. Mai 2011, wurde die Bewertung weltweit bekannt gemacht und wie Ahlbom und seine Verbündeten befürchtet hatten: Mobilfunkstrahlung war als „möglicherweise krebserregend für den Menschen“ in Gruppe 2B eingereiht worden.



Ist das tatsächlich eine wirksame Strategie, um ein Produkt zu schützen?

Die hier beschriebenen Aktionen, die darauf abzielen die Integrität und Rechtschaffenheit von unabhängigen Wissenschaftlern, deren Ergebnisse einer wirtschaftlich mächtigen Industrie nicht willkommen sind, zu dis-kreditieren, können einen dauerhaften Einfluss auf die Möglichkeiten des Wissenschaftlers haben, seine Forschung fortzusetzen. „Die verheerendste und potenziell effektvollste Strategie, um beunruhigende Forschung zu diskreditieren, ist es, die professionelle Integrität des Forschers in Frage zu stellen“ schreiben Thomas O. McGarity und Wendy E. Wagner in ihrem Buch Bending science. How special interests corrupt public health research. Das Mobbing des Wissenschaftlers Irving J. Selikoff ist dafür ein Beispiel. Nachdem Selikoff 1964 Ergebnisse zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Asbest präsentiert hatte, beschrieb der Vorstand eines Asbestherstellers Selikoff als Problem, ebenso wie Hardell von dem anonymen Schreiber als Problem bezeichnet wurde: „Wir sind daran interessiert einen Weg zu finden, Dr. Selikoff davon abzuhalten, Probleme zu schaffen und den Verkauf zu beeinträchtigen.“

Auch koordinierte Angriffe in der Presse, häufig von PR-Firmen aufgebaut, werden aus dem Werkzeugkasten für wirksame Strategien gern genutzt. Solche Angriffe können von der Industrie direkt ausgehen, aber be-vorzugt werden Fürsprecher, die anscheinend „unabhängig“ von den Interessen der Industrie sind.

Interessanterweise haben die meisten, die in diesen drei Beispielen Hardells Integrität angreifen, finanzielle Verbindungen zur Industrie oder zu Industrieberatern und sie sind Professoren: Hans-Olov Adami, Anders Ahlbom und Alexander Lerchl. Aber nicht alle. Da gibt es den Fall Lars-Erik Holm, Direktor zweier schwedischer Behörden. Entsprechend der schwedischen Verfassung soll er in seiner Position, die Gesundheit der Schweden zu schützen, objektiv sein. Aber hier finden wir ihn als Spinne im Netz eines anscheinend koordinierten Angriffs auf einen Wissenschaftler, der unangenehme Ergebnisse veröffentlicht hat, die eine Gefahr für die Zukunft einer mächtigen Industrie bedeuten. Dazu gehört die Weiterleitung eines anonymen, verleumderischen Briefes über diesen Wissenschaftler, der als einer der ersten über die erhöhten Risiken durch Mobiltelefone berichtete. Holms Motive harren der Erklärung.

1 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1247514/
2 CEFIC LRI Research Initiative: Annual Progress Report 2001. Aufgelistete Mitglieder des Wiss. Beirats in 2001 u.a.: Hans-Olov Adami
3 FormaCare Pressemitteilung Sept. 2007: Formaldehyd on the way to rehabilitation. FormaCare Int. Science Conference in Barcelona
4 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11936821
5 for example: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22024235
6 http://www.gbg.bonet.se/bwf/art/industrialTies.html
7 http://www.nejm.org/doi/pdf/10.1056/NEJM200101113440209
8 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11305266
9 Letter to Lennart Hardell from Bo Littbrand, professor emeritus, 2012-12-16
10 Svenska Dagbladet September 19, 2002:Larmrapporter kan inte styrkas; Inger Atterstam
11 http://monographs.iarc.fr/ENG/Meetings/vol102-participants.pdf see footnote 6
12 Microwave News, May 26, 2011: Ahlbom’s Colleagues Express “Outrage” at IARC, Attack Hardell
13 Email from professor Maria Feychting May 23rd 2011



Mona Nilsson

(Übersetzung aus dem Englischen durch die Stiftung Pandora)

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