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Anmerkungen zur Interphone-Studie [1] und ihre Korrektur

Anmerkungen zur Interphone-Studie [1] und ihre Korrektur
durch eine Arbeit von Lloyd Morgan, Kundi und Carlsson [2]

Noch vor dem endgültigen Erscheinen der Interphone-Studie war aus der Kenntnis der Einzelveröffentlichungen der einzelnen Arbeitsgruppen auf diverse Mängel im Studien-Design hingewiesen worden.
Aus der Reihe dieser Mängel [3] sei besonders an die folgenden erinnert:

1) Als regelmäßige Mobilfunk-Nutzer wurden diejenigen Kandidaten angesehen, die mind. einmal pro Woche und mind. ein halbes Jahr lang ein Handy benutzten. Bei der zu beobachtenden Vieltelefoniererei eine geradezu abwegige Auswahl-Entscheidung.

2) Die durch ihre Vieltelefoniererei besonders auffallenden jungen Leute wurden aus der Betrachtung herausgenommen, nur die Altersgruppe der 30- bis 59-jährigen zugelassen. (Vereinzelte Arbeiten, die die 20- bis 29-jährigen mit erfassten, stellten für diese ein erhöhtes Erkrankungs-Risiko fest! [4])

3) Die parallele Nutzung von Schnurlos-Telefonen wurde in der Regel aus der Betrachtung eliminiert. Damit galten z. B. die Studienteilnehmer der Kontrollgruppe mit Befeldung durch Schnurlos-Telefone zu Hause oder/und in der Arbeitsstelle als nicht befeldet.

Allein diese drei Auswahl-Entscheidungen stellen jede für sich und erst recht alle drei zusammen den Wert der Interphone-Studie grundsätzlich in Frage. Selbstverständlich sind für eine epidemiologische Studie mit möglichst vielen Teilnehmern Auswahl-Entscheidungen zu treffen. Sie dürfen aber nicht so ausfallen, dass der dabei entstehende Realitätsausschnitt die tatsächlichen Verhältnisse karikiert.
Da bei derartigen Auswahlentscheidungen Unwägbarkeiten zu erwarten sind, wäre es notwendig gewesen, in die Teilnehmerauswahlen und –befragungen von vornherein andere Ansätze separat mit einzuarbeiten und deren Ergebnisfolgen in eine kritische Bewertung einzubeziehen. Davon ist in der Studie nichts zu lesen.

Prompt passierte, was zu erwarten war: es kamen „unwahrscheinliche“ Ergebnisse heraus. Die OR-Werte 1) weisen häufig Zahlen erheblich unter „1“ aus, was so zu deuten ist, dass die darin einbezogenen Teilnehmer von einem „gesundheitsfördernden“ Einfluss der Handy-Benutzung ausgehen können, denn das Risiko, an einem Hirntumor (der Sorte Gliom oder Meningiom, an-dere Formen wurden ausgeschlossen oder nicht betrachtet) zu erkranken, ist kleiner als bei den als „Nichtnutzer“ ausgewiesenen Teilnehmern. Verbindliche Gründe konnten dafür nicht angegeben werden, nur Vermutungen wie z. B. die vorgegebenen Auswahlentscheidungen.

Das veranlasste die Gruppe um Lloyd Morgan[2], durch (geometrische) Mittelwertbildung eine durchschnittliche „Fehllage“ in den OR-Werten zu ermitteln, die sich zu 0,80 ergab. Die Drift zu 1,0 nahmen sie als „zu korrigierenden Fehlwert“ und verschoben auf dieser Basis alle bereits errechneten Werte. Ergebnis: Das Risiko, an einem Hirntumor zu erkranken, erhöhte sich bei den ausgewählten Gebrauchsbedingungen der Handys durchweg um mindestens 25 %.

Wie ist dieses Ergebnis zu bewerten?

Durch den Einbau einer „innersystemischen Einheits-Stellschraube“, um offensichtlich missratene Ergebniswerte korrigieren zu können, wird die „fehlende Adäquatheit“ zwischen Modellsystem und der Realität nicht wirklich verbessert. Die einzelnen Auswahlgründe für die Teilnehmer an den Untersuchungen verzerren unterschiedlich stark die Erfassungslage und sind deshalb modifiziert und nicht einheitlich zu korrigieren. Akzeptable Fehlermargen sollten über die Zulässigkeit der einzelnen Auswahl-Entscheidungen und deren Ergebnis-Beeinflussung befinden helfen.

Die begründeten pauschalen Werteverschiebungen in der „Re-evaluation ...“ [2] konkretisieren den Trend der Systemfehler und relativieren die verharmlosenden Aussagen in der Interphone-Studie über das Erkrankungsrisiko für die ausgewählten Hirntumoren.

Solange die angesprochenen Design-Mängel aber mit ihren unterschiedlichen Auswirkungen auf die Risiko-Beurteilung nicht akzeptabel beseitigt sind, ist den Ergebnissen der Studie ebenso wie denen der „Re-evaluation“ ein hohes Misstrauen entgegenzubringen.

K. D. Beck




Literatur:

[1] Interphone-Studie in: Internat. J. Epidemiol. 2010 Jun 39(3): 675-694
Titel: „Brain tumor risk in relation to mobile telephone use: results of the international case-control study“
http://oxfordjournals.org/our_journals/ije/press_releases/freepdf/dyg079.pdf

[2] L. Lloyd Morgan, M. Kundi, M. Carlberg, „Re-evaluation of the Interphone Study. Application of a Correction Fac-tor“
http://sn.im/xd78f

[3] L. Lloyd Morgan et al., „The Precautionary Principle“ (Aug. 7, 2009)
http://www.icems.eu
in dt. Übersetzung: „Mobiltelefon und Hirntumor – 15 Gründe zur Sorge“
http://www.buergerwelle_schweiz.org/fileadmin/user_upload/buergerwelle-schweiz/Mobilfunk/MF_09.09_CellphBrainTum_Bericht_d.pdf

[4] L. Hardell et al., „Pooled analysis of two case-control studies on use of cellular and cordless telephones and the risk for malignant brain tumors diagnosed in 1997 – 2003.“
Int. Arch. Occup. Environ. Health 79 (Sept. (8))(2006) 630 – 639.

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1) Der Begriff der OR-Werte für „Odds Ratio“: „Quo(tien)tenverhältnis“, „Chancenverteilung“.

Verhältnisbildung zwischen erkrankten und nicht erkrankten Personen, einmal unter Berücksichtigung
des Risiko-Faktors, einmal ohne diesen. Beispielfall: Rauchen als Risikofaktor für das Entstehen einer Lungenkrebs-Erkrankung.
a) Unter 2000 Kettenrauchern sind 80 an Lungenkrebs erkrankt, der Rest (1920 P.) ist noch krebsfrei.
b) Unter 8000 Nichtrauchern sind 10 an Lungenkrebs erkrankt, der Rest (7990 P.) ist krebsfrei.
Mit Risikofaktor: a) = 80/1920 = 0,04167 ; ohne Risikofaktor: b) = 10/7990 = 0,0012516
Quotient von a) zu b): 0,04167 / 0,0012516 = 35,7,
d. h. in diesem Beispielfall besteht für Kettenraucher gegenüber den Nichtrauchern ein ca. 35-fach erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken.

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Diskussion
Kommentare siehe Link
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